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1945-1957: Die Gründung der pax christi-Bewegung

Überraschende Erkenntnisse über die Entstehungszeit

Friedhelm Boll

Jens Oboths Dissertation „pax christi Deutschland im Kalten Krieg 1945 – 1957“ ist reich an neuen Perspektiven und geht weit über die bisherige Erinnerungsliteratur hinaus.

pax christi entstand Ende 1944 im südfranzösischen, republikanisch gesinnten Frankreich keineswegs als Versöhnungsbewegung, sondern zunächst als „Gebetskreuzzug für die Bekehrung Deutschlands“. Zunächst wurden Einzelpersonen und Klostergemeinschaften angesprochen. Vergleicht man die Entstehungsgeschichten derartiger Bewegungen, so lässt sich feststellen, dass sie besonders in Zeiten auftreten, in denen alle anderen Mittel zur Abwendung von Not und Verzweiflung versagen. Vor Ende des Krieges nahmen die Initiatoren Kontakt zu südfranzösischen Bischöfen auf und fanden mit Pierre-Marie Théas, dem Bischof von Tarbes/Lourdes, eine Persönlichkeit, die in den folgenden zwanzig Jahren emblematische Bedeutung für die Bewegung und für die deutsch-französische Aussöhnung gewann.

Entwicklung des Versöhnungsgedankens

Wichtig war auch, dass der vatikanische Nuntius in Paris, Angelo Roncalli, der spätere Johannes XXIII, bereits 1947 die Unterstützung des Papstes für die Bewegung erreichte und gleichzeitig eine Umbenennung in die Wege leitete. Als Gebetsbewegung „für die Bekehrung der Nationen“ wird als Ziel nun eine Rechristianisierung Frankreichs und des gesamten Abendlandes angestrebt. Zugleich entwickelte sich der Versöhnungsgedanke, da die französische Seite sich für die baldige Entlassung der deutschen Kriegsgefangenen stark machte und die deutsche Seite ab 1947 mehrfach zu Lourdes-Wallfahrten einlud. Symbolische Gesten wie gemeinsame Gottesdienste, Wallfahrten und Kreuztrachten spielten eine große Rolle. Beide Zielsetzungen stießen bei deutschen Katholiken auf allergrößtes Interesse, sodass die Pariser Zentrale um 1950 konstatierte, dass ca. 80 Prozent der Anhänger Deutsche seien.

Eindringlich wird die euphorische Stimmung beschrieben, als Bischof Théas 1948 bei der Gründung der deutschen pax christi-Sektion die berühmten Worte sprach: „Ich bringe Euch den Bruderkuss des christlichen Frankreich, einen Kuss, der Verzeihung gewährt und solche sucht, d. h. den Kuss der Versöhnung.“ Detailliert arbeitet Oboth die damalige „charismatische Zeit“ heraus.

Enormer Vertrauensvorschuss

Deren Erfolg bestand einerseits in der offensichtlich positiven Zuwendung eines Teils des französischen Katholizismus zum Deutschen; ebenso auch in der außerordentlichen Unterstützung eines Teils des deutschen Episkopats und im starken Engagement deutscher Aktivist*innen. Kardinal Frings, Kardinal Faulhaber sowie mehrere Bischöfe, insbesondere Johannes J. van der Velden (Aachen) und Joseph Schröffer (Eichstädt) werden zu dieser Gründungszeit bereits persönliche Mitglieder der Gebets- und Wallfahrtsbewegung. 1954 tritt sogar Konrad Adenauer der Bewegung bei, ohne allerdings nur einen Pfennig Beitrag zahlen zu wollen.

Überraschend ist, dass sich vor allem die Kreise um pax christi bemühen, die schon in der Zwischenkriegszeit – geprägt durch die katholische Jugendbewegung – an der deutsch-französischen Versöhnung gearbeitet haben: die Deutsche Volkschaft (DV), die Katholische Männerbewegung der Diözese Aachen (KMA), die Großdeutsche Jugend um Nikolaus Ehlern sowie der Quickborn. Der enorme Vertrauensvorschuss, mit dem die französischen Gründer den deutschen Katholiken entgegenkamen, ist ein Grund des Erfolgs der Bewegung. Man ging davon aus, dass der deutsche Katholizismus insgesamt gegen die Nazis eingestellt war.

Entwicklung einer eigenen Versöhnungspraxis

Ab 1945 berichtete die französische pax christi-Zeitschrift regelmäßig vom Abwehrkampf der deutschen Katholiken und von der Unterstützung, den französische Zwangsarbeiter und ihre Priester – meist Arbeiterpriester – in Deutschland erhalten hatten. Ein zweites herausragendes Moment bildete die Tatsache, dass Bischof Théas ab 1947 Vertreter der deutschen Katholiken zur internationalen Wallfahrt nach Lourdes einlud, wo sie ohne Vorbehalte empfangen wurden. Die Theologie vom Corpus Christi Mystikum bildete die Brücke. Das Gefühl, nicht mehr als Repräsentant des verbrecherischen Deutschlands, sondern als Mitglied der transnationalen Katholizität der Kirche gezählt zu werden, wirkte Wunder.

Oboth geht diesem theologischen Ansatz des Corpus Christi Mystikum differenziert nach und zeigt, dass von ihm eine heilende, integrative Wirkung ausging, mit der jedoch die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands zeitweise verdeckt, bzw. beiseite geschoben werden konnten. Erst die intensive Auseinandersetzung mit den Nazi-Verbrechen in Frankreich machte es möglich, dass pax christi, besonders Pater Manfred Hörhammer ab Mitte der 1950er Jahre eine eigene Versöhnungspraxis entwickelten. Hier wurden die Gesten und Symbole (Versöhnungskelch für Oradour sur Glan, Messgewand und finanzielle Priesterhilfe für Asq, Nordfrankreich) gefunden, die ein Jahrzehnt später auch gegenüber Polen große Aufmerksamkeit fanden.

Friedhelm Boll war Professor für neuere und Zeitgeschichte an der Universität Kassel. Er ist Mitglied im Vorstand von "Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V." und Mitglied im Kuratorium der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung.

 

Jens Oboth

Pax Christi Deutschland im Kalten Krieg 1945-1957

Gründung, Selbstverständnis und Vergangenheitsbewältigung

Jens Oboths Dissertation bietet die erste grundlegende, wissenschaftliche Untersuchung über die Gründungsgeschichte der deutschen pax christi-Sektion für die Jahre 1945 bis 1957. Das 500-Seiten starke Werk basiert auf umfangreichen Quellen, die Oboth in beträchtlichem Maße selbst aufgespürt und erstmals ausgewertet hat.

Weitere spannende Themen im Buch: das Übergewicht des bischöflichen Einflusses bei der Ablehnung politischer Stellungnahmen; die Weiterentwicklung der grenzüberschreitenden Wallfahrten zu einem großen Begegnungsprogramm (Patenschaften, jährliche Sternwallfahrten, internationale Kongresse); die zweifelhafte Entstehung des Bühler Friedenskreuzes; interne Konflikte bei der organisatorischen Festigung der Bewegung; Streit um Wiederaufrüstung und Kriegsdienstverweigerung; das Scheitern des wiedergegründeten Friedensbundes der deutschen Katholiken.

 

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